Zeitzeugin Hannelore Schneider

Deutschland – im Wandel der Zeit

Bevor Erinnerungen verblassen und Erlebnisse in Vergessenheit geraten, sollten wir einen Weg finden, diese zu verewigen. Und wie ginge dies besser als in den Köpfen jüngerer Generationen, welche Geschichte verwahren, um daraus zu lernen und eine neue Geschichte zu schreiben.

Am 07. Februar 2023 bot sich der Q4 ebendiese Möglichkeit, in die Geschichte eines geteilten Deutschlands einzutauchen und mehr über ein deutsches Volk zu erfahren, das trotz einer Mauer, die den Staat in zwei Hälften teilte, nie die menschliche Bindung zueinander verlor. An diesem Tag besuchte uns Hannelore Schneider, die große Teile ihres Lebens in der DDR verbrachte. Frau Schneider wuchs in einem katholisch geprägten Umfeld auf. Obwohl die DDR atheistisch geprägt war, machte ihre Glaubenszugehörigkeit einen wichtigen Teil ihres Lebens aus. Während ihrer Schullaufbahn wurde ihr bewusst, wie wichtig ihr Leistungsstand für ihren weiteren Bildungsgang war. Nicht jedem Schüler wurde es gestattet, das Abitur zu absolvieren oder seinen akademischen Werdegang selbst zu wählen. Bevorzugt wurden in diesem Fall stets Mitglieder der Partei. Aufgrund sehr guter erbrachter Leistung war es ihr möglich, nach der Schule an der Humboldt Universität zu Berlin Lehramt in den Fächern Englisch und Deutsch zu studieren. Diesen Lebensabschnitt hatte unsere Zeitzeugin als bemerkenswert und prägend in Erinnerung. Sie trat in Berlin mit zahlreichen wichtigen intellektuellen Autoritäten ihrer Zeit in Kontakt. Nach ihrem Studium wurde sie einer Schule in Cottbus zugeteilt, die sie sich unter dem strengen Regime nicht selbst aussuchen durfte. Während ihrer akademischen Laufbahn wurde ihr die Ungerechtigkeit zwischen Systembefürwortern und Systemgegnern deutlich. Frau Schneider heiratete und bekam zwei Kinder. Zu dieser Zeit waren sie und ihr Ehemann ein wichtiger Teil der Umweltgruppe Cottbus, welche derzeit in der DDR nicht gern gesehen war. Nachdem sie sowie einige Mitglieder der Gruppe bei einer Kommunalwahl die Nein-Stimmen gegen die SED mitzählten und feststellten, dass die gezählten Stimmen nicht mit den veröffentlichten Zahlen übereinstimmten, klagten sie das Wahlkomitee wegen Wahlbetrugs vor Gericht an. Ihnen war bewusst, dass dieser Schritt für sie ein möglicher Grund für eine Inhaftierung oder den Verlust des Sorgerechts für ihre Kinder bedeuten könnte. Trotzdem standen sie für die allgemeine Wahlfreiheit ein und nahmen das Risiko in Kauf. Darauffolgend wurden ihr Ausreiseantrag abrupt genehmigt und sie mussten im Mai 1989 Ostdeutschland verlassen. Das Einfinden im fremden Westdeutschland stellte für Frau Schneider und ihre Familie eine Herausforderung dar. Ihre Kinder mussten sich von ihrem zu Hause sowie allen alten Gewohnheiten trennen, was ihnen psychisch teils schwer zu schaffen machte. Im Westen wurde das Studium der Zeitzeugin nicht anerkannt und sie musste ein Referendariat nachholen. Anschließend fand sie zu ihrem großen Glück einen Platz in einer Schule, obwohl dieses Unterfangen derzeit bei vielen Lehrern ein Suchen ohne Ende darstellte. Zwischenzeitlich stand zur Debatte, ob die Familie wieder nach Ostdeutschland in ihre Heimat zurückkehren sollte. Doch diesen Schritt des Heimkehrens haben Schneiders nie verwirklicht.

Hannelore Schneider erzählte uns von der drückenden Sehnsucht, die sie vor allem Zeit ihrer Jugend verspürte. Sie sehnte sich nach Freiheit, Reisen in den Westen und Gerechtigkeit. Bei diesen Worten wurde mir bewusst, was es bedeutet, Veränderung und Entwicklung der Geschichte zu verwirklichen. Ich kann nun nachempfinden, wie es sich anfühlt, frei zu sein und wie schwer die Einheit unseres heutigen deutschen Volkes wiegt.

von Lysann Büsch (Q4)